Oskar Panizza, Der teutsche Michel und der römische Papst

Oskar Panizza
Der teutsche Michel und der römische Papst
Panizza, Werke, Band 6
420 Seiten. ISBN 978-3-948371-04-3. 38 Euro
38,00 €

Beschreibung

Vorwort

Ich weiß nicht, ob wir heute noch eine christliche Gesellschaft haben. Die übergroße Masse der Gebildeten setzt einen Stolz in ihren Atheïsmus. Die Protestanten und die von Rom unabhängigen Religions-Gesellschaften beharren, glücklich, den Römisch-Wälschen GewissensFängern entgangen zu sein, in ihrer freiheitlichen Lehre, meist mit Lauheit, hie und da mit antikatolischem Eifer. Die Katoliken, an der Hand weniger Intelligenzen, wiederholen, soweit sie Agitatoren sind, eine seit Jahrhunderten eingeübte und auswendig gelernte, antiteutsche, katolische Fluchformel, oder, soweit sie indifferent sind, machen sie nur das Nötigste des Hokus-Pokus mit, oder, wie die große Masse des niederen Volks, treiben das ewig-gleiche Triebrad ihres Bischen Mitleids und jenseitiger Aspirazion zwischen den zwei festen Polen: Papst und Fegefeuer, einem diesseitigen und jenseitigen, mit maschineller Gleichmäßigkeit hin und her.

2) Für einen simplen Publizisten, wie den Verfasser Dieses, der nur den einen Anspruch erhebt: teutsch zu sein, könnte eine solche Betrachtung des zweifellosen Einschlafens des christlich-religiösen Interesses wenig Anlokendes bieten, wenn der unglückliche, religiös-politische Einflus des Auslandes, Rom’s, – unglücklich, weil ausländisch – sich entsprechend diesem weichenden Interesse vermindert hätte. Denn darüber kann heute kein Zweifel sein, daß das immer strengere In-Sich-Zusammenschließen der einzelnen Nazionen des Abendlandes, das immer festere Zusammenhalten der durch Sprache, Abstammung, Charakter-Eigentümlichkeiten Zusammen -gehörigen – selbst bei so kleinen Gruppen, wie die Vlamen, die Tschechen, Kroaten – jede ausländische Bevormundung, sei es in welcher Form nur immer, auf’s Bitterste empfinden muß.

3) Nun sind aber die Prärogative Roms im Hinblick auf politische Beeinflussung der Staaten des Abendlandes in den letzten Jahren entschieden im Wachsen begriffen. Der Papst dringt in die Parlamente und entscheidet über Abstimmungen. Er beansprucht das Recht der Entscheidung bei seinen Angehörigen in allen Gewissens-Fragen; und wo käme bei einem ehrlichen Teutschen nicht das Gewissen in Betracht? Noch mehr: Eine eigene Soldateska, die in seinem persönlichen Dienst steht, lehrt und erzieht ihre Angehörigen in dem Sinne, daß jede Betonung der Interessen des Vaterlandes, jede Zusammengehörigkeit zur Heimat, jede Vaterlandsliebe im Interesse des apostolischen Stuhls und der katolischen Religion zu unterdrücken sei; und verlangt für die Ausbreitung dieser ihrer Ansichten das Recht der Errichtung öffentlicher Schulen in Teutschland. Und das Alles angesichts der zweifellosen Verminderung des Interesses für christliche Religionsübung überhaupt.

(Oskar Panizza)